Mixing Media – Fotografie, Skulptur und die Konstruktion der Bilder

Christine Gückel, 2010, Filter for fotografi Nr.5

In der zeitgenössischen Kunstfotografie lässt sich die Schaffung künstlerischer Hybride zwischen Fotografie, Skulptur und Installation vielfach beobachten. Diese künstlerische Vorgehensweise ist jedoch nicht radikal neu. Sie gründet vielmehr in den experimentellen Praktiken der Avantgarden des 20. Jahrhunderts.

Grundlagen Inszenierter Fotografie
In ihrer Fotoserie Axiome (2009) entwirft die Kölner Künstlerin Tamara Lorenz eine Reihe an Propositionen, ein System, das auf filigranen Konstruktionen alltäglicher Dinge basiert, die durch formale Bedingungen sorgfältig in Balance gehalten werden. Weiß, grau oder schwarz lackierte Holzlatten werden vor einer weißen Wand zu Linien und geometrischen Formen arrangiert, um anschließend von Lorenz fotografiert zu werden. Die Strukturen erfahren durch dreieckige oder halbkreisförmige Bretter, durch ein Blumengitter, einen umgedrehten Stuhl oder auf weißes Papier gedruckte Wortfragmente unterschiedliche inhaltliche Akzentuierung, und jede untersucht und definiert dabei den gegebenen Raum auf ihre eigene Art und Weise.

Der Raum selbst ist schwer zu fassen. Seine unmittelbare Wahrnehmung durch den Betrachter wird auf der einen Seite durch das Arrangement der Objekte erschwert: durch Ungenauigkeiten, Verschiebungen, Überschneidungen und die verwirrende Struktur von Schatten, die der streng frontalen und oftmals dualen Beleuchtung geschuldet sind. Auf der anderen Seite reduziert die fotografische Aufnahme die skulpturalen Konstruktionen zu zweidimensionalen Formationen, womit nicht nur die Stofflichkeit der Objekte in künstlerisches Material, sondern zugleich die Zeichnungen im Raum zu Zeichnungen in der Fläche transformiert werden; ein Eindruck des Graphischen, der durch das kleine Format, den seriellen Kontext und die oft nur leicht veränderten Motive der Bilder zusätzlich gesteigert wird. Lorenz stellt in ihren Fotografien die vordergründige Struktur der arrangierten Dinge heraus und wandelt dreidimensionale Tiefe in ebenes Bild. Dabei nutzt sie das Potential des Mediums zur Reduktion von Perspektive, um einzelne Formen mit neuen Konturen und neuen künstlerischen Bezügen zu kreieren.

Lorenz benennt den deutschen Künstler Jürgen Klauke, ehemals ihr Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln, als wichtige Inspiration für den Bau ephemerer Arrangements einzig zum Zweck ihrer Bannung in die fotografische Oberfläche. Damit verweist sie unmittelbar auf die frühen Anfänge einer fotografischen Vorgehensweise, die unter dem erstmals vom amerikanischen Fotokritiker A. D. Coleman (1) aufgebrachten Umbrella Term einer Inszenierten Fotografie gefasst wird. (2) In den 1970er Jahren übertrug Coleman Begriffe aus dem Bereich des Theaters und Films auf die Fotografie, um eine Kunstfotografie zu beschreiben, die nicht mehr die Dokumentation einer existierenden Realität sucht, sondern vielmehr ihre eigene erfindet und konstruiert. (3) Auf Grundlage seiner recht weit gefassten Kategorisierung entwickelte sich ein breites Spektrum an ungenauen Definitionen und Bezeichnungen – darunter im deutschsprachigen Raum Inszenierte, Konstruierte, Arrangierte oder Manipulierte Fotografie, um nur einige Beispiele zu nennen –, die bis heute diskutiert und zufriedenstellend zu klären gesucht werden.

Der Einfluss der Massenmedien
Die Bezeichnung Inszenierte Fotografie umfasst Arbeiten von Künstlern, die sich von einer unmittelbar gegebenen Umwelt abgrenzen, indem sie Teile von ihr de- und neukontextualisieren beziehungsweise das Motiv direkt im Studio in Szene setzen, oftmals unter Verwendung einer aufwändigen Kulisse. Besonders frühe Vertreter dieser künstlerischen Richtung weisen dabei eine enge Affinität zu Werbung, Theater und Film auf, wobei diesen Bereichen nicht nur Arbeitsweisen, sondern auch ästhetische Qualitäten entlehnt wurden. (4) Cindy Shermans Spiel mit klischeehaften Auffassungen von Geschlechterrollen und massenmedialen Stereotypen, die sie in ihrer 69-teiligen Serie der Untitled Film Stills (1977-1980) thematisiert, können hierfür als beispielhaft angesehen werden. Diese ‚cinematographischen‘ Konzepte weisen charakteristische Merkmale Inszenierter Fotografie auf, wie beispielsweise die Verkörperung eines zugrunde liegenden künstlerischen Konzepts, die Rolle des Künstlers als Regisseur, Produzent und oftmals auch Schauspieler, eine spezielle Ausrichtung auf den Betrachter, oder die Entwicklung einer Narration. Während die inszenierten Arbeiten von Künstlern wie Jeff Wall, Eileen Cowin oder Duane Michals eine mögliche Erzählung suggerieren, zum Teil verstärkt durch Titel (Wall) oder vorgeblich interpretative Texte (Michals), muss Fotografie jedoch nicht inszeniert sein, um eine Erzählung zu evozieren, und vice versa, wie die Fotografien von Lorenz verdeutlichen. Die Kunsthistorikerin Christine Walter schlägt hier eine Unterscheidung zwischen Inszenierter und Konstruierter/Arrangierter Fotografie vor, wobei sie erstere als „szenische, narrative Darstellung“ beschreibt und letztere als „Stilleben“ oder „abstrakte Kompositionen“, denen eine betont handwerkliche Vorgehensweise zugrunde liegt. (5)

Die Dokumentation des Nicht-Dokumentarischen
Trotz aller thematischen, technischen und stilistischen Unterschiede ist allen inszenierten Fotografien ein grundlegender Aspekt gemein: Sie lösen sich von Roland Barthes viel zitierter Definition dessen, was er als Essenz der Fotografie sah, ihrer ‚indexikalen Referentialität‘. Während, wie er ausführt, der „photographische Referent“ einen unmittelbaren Bezug zu einer gegebenen, außer-bildlichen Realität impliziert (das „Es-ist-so-Gewesen“) (6), erfinden und erzeugen diese Fotografien eine inszenierte Präsenz. In Abwendung von den Ansprüchen eines fotografischen Realismus, wie er von ‚direkten‘ Fotografen wie Paul Strand oder Walker Evans formuliert wurde, erlaubt das vorsätzlich arrangierte Motiv eine Abwendung vom Erfassen des ‚entscheidenden Augenblicks‘. (7) Dies führte schließlich, wie der Kulturphilosoph Gerhard Lischka betont, zur Abgrenzung des Mediums als Kunst von seiner etablierten Rolle als Dokument. (8) Allerdings gründet das Konzept der Konstruktion einer Realität ausschließlich für die Kamera ursprünglich auch in einem dokumentarischen Gebrauch von Fotografie als Mittel zur Fixierung ephemerer Kunstformen wie Happening, Fluxus oder Performance, die nur einer begrenzten Anzahl an Personen zugänglich waren. Die Dokumentation dieser künstlerischen Praktiken durch Fotografie und Film, später Video, erlaubte nicht nur die Möglichkeit der Konservierung, sondern auch der Publikation performativer Aktionen, auch wenn die Fotografien anfangs nicht als unabhängige Kunstwerke betrachtet wurden. Yves Kleins berühmte Performance der Anthropometries beispielsweise, 1960 in der Galerie Internationale d’Art Contemporaine in Paris aufgeführt, wurde von drei offiziell engagierten, aber selten genannten Fotografen dokumentiert. (9)

Die spätere Einbindung aufzeichnender Medien in die Performance Kunst, wie etwa in den multi-medialen Konzerten und Events von Wolf Vostell, Nam June Paik und Joseph Beuys geschehen, führte schließlich zur Eliminierung des Publikums, beziehungsweise vielmehr zu seiner Transformation in ein imaginäres, repräsentiert durch die Kamera. Diese Kreation eines unabhängigen und losgelösten künstlerischen Raumes eröffnete die Möglichkeit selbstreflexiver Untersuchungen, wie sie beispielsweise in den Video-Studien zum plastischen Potential einfacher Gebrauchsmaterialien bei Richard Serra oder John Baldessari oder in Analysen sowohl des sozial determinierten kollektiven als auch des individuellen künstlerischen Körpers zu finden sind. In Anna und Bernhard Blumes Serien fotografischer Performances wird beispielsweise der kleinbürgerliche kollektive Körper mit dem Umsturz häuslicher Einrichtung konfrontiert, der sich mithilfe alltäglicher Objekte wie Kartoffeln, Vasen oder Möbel vollzieht, die, wie in Ödipale Komplikationen? (1977/78), recht dynamisch in das heitere Spiel zwischen Mutter und Sohn eingreifen. Der individuelle Körper in seinen sexuellen, politischen und ästhetischen Konnotationen wiederum wird in den fotografischen Arbeiten von Künstlern wie Eleanor Antin, Urs Lüthi oder Jürgen Klauke untersucht.

Die Fotografie von Dingen
Es sind besonders Klaukes spätere Arbeiten, die Lorenz inspiriert zu haben scheinen. In diesen ging der Künstler von seinem „Theater des Selbst“ – Maskeraden multipler Identitäten, die in den frühen 1970er Jahren entstanden sind – zu einem „Theater des Sozialen“ (10) über, das durch die formalisierte Inszenierung alltäglicher Gegenstände charakterisiert ist, die als Repräsentanten zwischenmenschlicher Strukturen und Verhaltensweisen fungieren. Allerdings spielt Lorenz anders als Klauke, der das Medium zur Übermittlung vielmehr künstlerischer denn spezifisch fotografischer Inhalte nutzt, mit dem visuellen Potential der Fotografie. Ihre Abstraktion der Dinge und des Raumes ist dabei ein wichtiges Charakteristikum speziell Konstruierter Fotografie. Barbara Kastens frühe konstruktivistisch-geometrischen Kompositionen aus Glas, Latten und Spiegel, oder Manuela Barczewkis Arrangements aus Schichten alter Fenster, die mit kleinen farbigen Drei- oder Rechtecken beklebt sind, weisen in dieser Hinsicht große Ähnlichkeit zu Lorenz‘ Serien auf. So sind alle diese Arbeiten durch die Transformation der Dinge in künstlerisches Gestaltungsmittel gekennzeichnet, während der formale und thematische Fokus auf die daraus resultierende Transfiguration des einzelnen Bildelements gerichtet ist. Dabei nutzen auch Künstler, die stärker figürlich arbeiten, wie beispielsweise Peter Fischli & David Weiss, die (ironische) Distanz, die aus dieser Dekontextualisierung und Entkörperlichung der arrangierten Dinge resultiert.

Zwischen Skulptur und Fotografie
Die Dekontextualisierung der Dinge und die Ablösung von ihrer Funktion führt in Lorenz‘ Arbeit zu einer indexikalischen Irritation von Seiten der Betrachter. So scheint es auf den ersten Blick unklar zu sein, ob die Fotografie selbst das Kunstwerk ist oder nur die Dokumentation einer Ausstellung. Diese Ambiguität tritt besonders in ihren frühen Serien zutage und wird durch die Tatsache verstärkt, dass ihr Werk, wie bei Kasten oder Fischli & Weiss, auch Skulpturen und Installationen umfasst. Elemente wie die Fragilität der Konstruktion (die einzelnen Komponenten der Axiome beispielsweise scheinen den Bewegungen der Betrachter nicht standhalten zu können) oder die gewählte Perspektive demaskieren jedoch das Arrangement als ephemere Inszenierung. Gleichwohl lenkt die Unsicherheit, ob die Fotografien Kunstwerke oder Dokumentationen sind, die Aufmerksamkeit auf die Tradition fotografischer Reproduktion von Kunstwerken und ihren Einfluss auf die Entwicklung der Kunst und Kunstgeschichte seit dem 19. Jahrhundert. Dies fand berühmten Niederschlag in Walter Benjamins Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1935) wie auch in Andre Malrauxs Idee eines „Museums ohne Wände“ (1947). (11) Laut Benjamin führt die Reproduktion eines Kunstwerks zum Verlust seiner einzigartigen Aura und Originalität, was der Loslösung aus seinen räumlichen und zeitlichen Ursprüngen geschuldet ist. Dies, so führt er aus, führte zu der Emanzipation des Kunstwerks aus seinem rituellen Kontext und zu seiner Einbettung in ein verändertes ästhetisches System. (12) Benjamins Konzept einer Kunstgeschichte, die auf fotografischer Reproduktion basiert und durch sie bestimmt ist, beeinflusste Malrauxs Idee eines stetig verfügbaren „Imaginären Museums“ in großem Maße – „eine Skulpturensammlung, die in ein paar gebundene Bände passt“. (13)

Der Gedanke der Reproduktion verweist auf eine potentielle ‚skulpturale Funktion‘ des fotografischen Bildes, die diesem als Repräsentant dreidimensionaler Konstruktionen inhärent sein kann. Dies wurde in den frühen 1930er Jahren etwa von Brassaï forciert, als er seine surrealistischen Fotografien gebrauchter Fahrkarten und anderer alltäglicher Überbleibsel als Unfreiwillige Skulpturen bezeichnete. Inwiefern jedoch Inszenierter beziehungsweise vielmehr Konstruierter Fotografie eine skulpturale Funktion zugeschrieben werden kann ist unklar, bewegt sich diese doch fließend zwischen den Medien. Lorenz‘ (fotografische) Arbeiten beispielsweise sind durch die Untersuchung des „bildhauerischen Umgang[s] mit Material“, von einem „Spiel mit Form und Nicht-Form, mit Plastik und Prozessualität“ (14) bestimmt. Aber die Aneignung von Qualitäten, die gewöhnlich der Skulptur zugeschrieben werden, durch die Fotografie impliziert nicht automatisch die Aneignung der funktionalen Charakteristika des Mediums, und grundsätzlich ist Fotografie zweidimensional. Aus diesem Grund kann die Beachtung des Präsentationskontextes erhellend sein. Als künstlerische und inhaltliche Weiterführung der Axiome ist die Fotografie der Serie ProZOrd (2010), die in Lorenz‘ multi-mediale Installation Sit back and enjoy the real McCoy (2010) eingebettet ist, beispielsweise nicht nur eine Dokumentation der künstlerischen Inszenierung von Gegenständen, sondern zugleich Teil der Installation. Durch die Größe und Tiefe des Rahmens plastisch von ihrer Umgebung separiert wird die Fotografie damit Element ihrer eigenen Darstellung.

[1] Coleman, A. D.: Inszenierende Fotografie. Annäherung an eine Definition [1976], in: Kemp, Wolfgang (Hrsg.): Theorie der Fotografie 3. 1945-1980, München 1983, S. 239-243. Die 1979 von Van Deren Coke kuratierte Ausstellung Fabricated to be photographed im Museum of Modern Art in San Francisco festigte den Diskurs.
[2] Vgl. dazu Walter, Christine: Bilder erzählen! Positionen inszenierter Fotografie: Eileen Cowin, Jeff Wall, Cindy Sherman, Anna Gaskell, Sharon Lockhart, Tracey Moffatt, Sam Taylor-Wood, Weimar 2002, S. 22.
[3] So sucht Coleman zwischen dokumentarischer (‚direkte’ Fotografie), interpretierender (‚street photography‘) und inszenierter („directorial mode“; z.B . Stillleben, Studioaufnahmen oder Porträts) zu unterscheiden.
[4] Laut Walter hatte Hollywood großen Einfluss auf die Ausbildung dieser fotografischen Strömung in den USA; vgl. Walter 2002, S. 14.
[5] Walter 2002, S. 25.
[6] Barthes, Roland: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie, Frankfurt a. M. 1985 [1980], S. 86f.
[7] Cartier-Bresson, Henri: The decisive moment, New York 1952 [1952].
[8] Lischka, Gerhard: Du bist dein Ebenbild. Klauke ist sein Ebenbild, in: Kunstforum International, Nr. 88, 1987, S. 204-240, S. 218.
[9] Harry Shunk, John Kender und Charles Wilp; vgl. dazu Green, David/Lowry, Johanna: Splitting the Index. Time, Object, and Photography of Joseph Beuys and Yves Klein, in: Johnson, Geraldine A. (Hrsg.): Sculpture and Photography. Envisioning the Third Dimension, Cambridge 1998, S. 148-165.
[10] Weibel, Peter: Klaukes Kunst zwischen subversiver Körperpolitik und performativen Akten, in: Absolute Windstille. Jürgen Klauke – Das fotografische Werk, Ausst. Kat. Bonn – St. Petersburg – Hamburg, Ostfildern 2001, S. 51-69, S. 65.
[11] Malraux, André: The Psychology of Art: The Museum without Walls, London 1949 [1947].
[12] Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt a. M. 1972 [1935], S. 7-63.
[13] Johnson, Geraldine A.: Sculpture and Photography. Envisioning the Third Dimension, in: Johnson 1998, S. 1-19, S. 4.
[14] Bürgel, Deborah: Helden des Alltags, in: Tamara Lorenz – so oder so. Foto- und Videoarbeiten 2004-2007, hrsg. v. Andy Lim, Köln 2008, S. 57-60, S. 58.